Gorleben – Game Over
Gorleben ist ein nicht einmal annähernd eintausend Seelen zählendes Örtchen, irgendwo in der niedersächsischen Provinz direkt an der Elbe gelegen, zu dessen aufregendsten Sehenswürdigkeiten eine kleine Kapelle sowie ein mahnendes Kriegerdenkmal gehören. Trotzdem wird der Name dieses unscheinbaren Dorfes wohl jedem Leser dieser Zeilen sofort geläufig sein, erlangte Gorleben doch durch seine Funktion als Atommüllzwischenlager sowie geplanter Standort eines sogenannten Endlagers in den 80er Jahren traurige Berühmtheit. Obwohl die Planung für die höchst umstrittene Endlagerstätte mittlerweile vom Tisch ist, wird noch immer radioaktiver Abfall zwischengelagert, was für allerlei Proteste sorgt.
Dass all dies ein durchaus interessantes Konzept für ein musikalisches Projekt sein könnte, dachten sich bereits vor mehr als zehn Jahren vier Herren sowie eine Dame aus Dresden, die sich recht naheliegend als GORLEBEN formierten, allerdings erst in diesem Herbst mit „GAME OVER“ ihr Debütwerk veröffentlichten. Einen geeigneteren Zeitpunkt hierfür hätte die Truppe dabei wohl kaum wählen können, kehrt mit der hitzigen Diskussion um den notgedrungenen Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke sowie den stetigen Drohungen eines nuklearen Angriffes seitens Russlands die lange verdrängte Angst vor der leider allzu tödlichen Macht dieser Tage mit einem lauten Paukenschlag zurück. Fast schon bizarr ist die Eröffnung des mehr als einstündigen Albums, für die die fröhliche Musik von „Duck And Cover“ ausgesucht wurde, einem pädagogischen Cartoon aus den 50er Jahren, in dem Kindern das richtige Verhalten im Falle eines nuklearen Angriffs von „Bert the Turtle“ erklärt wurde. Unter den mehrstimmigen Gesang mischt sich jedoch alsbald das unheilvolle Geräusch eines krachenden Geigerzählers, der letztendlich die Überleitung in „Sleepless“ bildet, einem fast viertelstündigen Brocken, in dem GORLEBEN massiven Death/Doom Metal zelebrieren, dessen enorm düstere Stimmung umgehend den passenden Rahmen für die ernste Thematik erschafft. Es ist nie ganz einfach, eine solch lange Spielzeit mit genügend Substanz zu füllen, doch gelingt es den fünf Sachsen mit ihrer facettenreichen Gitarrenarbeit, die neben schleppenden Riffs auch sehr intensive Leads mit sich bringt, den Track konstant auf einem hohen Niveau zu halten. Gleiches gilt für die nachfolgenden vier Kompositionen, die zum Teil ähnlich lang ausfallen. Sind es in „The Heat“ futuristische Synthesizer und eingestreute Sprachsamples inmitten des kriechenden Downtempos, die hier zum Wiedererkennungswert beitragen, lebt „Contaminated“ von einem gelungenen Wechsel zwischen kehligen Growls und fast schon verzweifelt wirkendem weiblichen Gesang, der über weite Strecken in ein kräftig angeschwärzten Sound erklingt, der mit heftigen Blasts und wütenden Sechssaitern erzeugt wird. Ein solch loderndes Inferno findet sich auch im letzten Drittel von „Decay“ wieder, nachdem sich GORLEBEN zuvor ausgiebig in zäher Wehmütigkeit gesuhlt haben. Ein mutiges Spiel mit starken Gegensätzen, das aber voll aufgeht, ergänzen sich die unterschiedlichen Elemente zu einem packenden Gesamtkonzept.
Nur ganz selten sind es vereinzelt kurze Passagen, denen es ein wenig an Biss fehlt oder die nicht so ganz zünden wollen und daher etwas langatmig wirken, bis durch erneut einsetzende Melodien oder kantige Vocals die abgefallene Spannung wieder aufgenommen wird. Dies ist angesichts der enormen Laufzeiten der einzelnen Tracks aber fast schon unvermeidbar und daher auch weitestgehend vernachlässigbar. Insgesamt erweist sich „GAME OVER“ als sehr abwechslungsreiche Platte mit eigenständiger Note, die auf Grund ihrer schieren Länge zunächst sicherlich einige Geduld fordert, nach einer kurzen Eingewöhnung jedoch tolle Klanglandschaften mit liebevoll eingebetteten Details bietet und dazu anregt, sich näher mit dem Thema der Kernkraft auseinanderzusetzen.