Nemesis Sopor – Interview

21. März 2017
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Vor wenigen Wochen veröffentlichten NEMESIS SOPOR aus Dresden mit “MMXL“ ihren dritten Langspieler. Auf diesem wird mit anspruchsvollen Texten die Erschaffung einer künstlichen Intelligenz durch den Menschen thematisiert. Im folgenden Interview erläutert uns Gitarrist und Sänger R.S. woher die Idee zu diesem Konzept stammt und inwiefern sich “MMXL“ von den früheren Werken der Band unterscheidet.

I. Zunächst einmal besten Dank, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview nehmt. Bevor wir jedoch über euer aktuelles Album sprechen, möchte ich gerne auf euren Bandnamen eingehen. Erklärt doch bitte, welche Bedeutung hinter NEMESIS SOPOR steckt und warum ihr diesen Namen für euch gewählt habt?

Danke für dein Interesse. Der Name „Nemesis Sopor“ hat für uns viele Facetten. Ursprünglich diente er in der wörtlichen Übersetzung „Erzfeind Schlaf“ als sozialkritische Ansage gegen das ohnmächtige Ertragen gesellschaftlicher Missstände. Fasziniert haben uns jedoch von Anfang an die Möglichkeiten, den Bandnamen auszulegen. So kann Schlaf einerseits wohltuend sein, andererseits Stillstand bedeuten. Jede Veröffentlichung steht daher in gewissem Sinne in Verbindung mit dem Bandnamen, fügt ihm jedoch neue Facetten hinzu. Im Kontext des neuen Albums findet sich beispielsweise der Fortschrittsgedanke der Menschheit darin wieder und das eventuelle Erwachen einer uns überlegenen Intelligenz – mit allen positiven und negativen Konsequenzen.

II. Nachdem ihr euren zweiten Langspieler in Eigenregie veröffentlicht habt, habt ihr für “MMXL“ einen Vertrag bei Geisterasche Organisation unterschrieben. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass ihr nach “GLAS“ doch wieder zu einem Label zurückgekehrt seid?

Unser erstes Album wurde durch das Label „Der neue Weg“ in sehr kleiner Auflage veröffentlicht, wobei Recording, Mixing und Artwork auch schon damals aus eigener Hand organisiert wurden. Bei der nachfolgenden Split „Rauhnächte“ entschieden wir uns jedoch, einen umfassenderen DIY-Ansatz zu verfolgen, der neben Covergestaltung und dem Mix auch den kompletten Eigenvertrieb durch uns und Drengskapur betraf. Diese Erfahrungen halfen uns bei der Veröffentlichung von „Glas“, jedoch unterschätzten wir auch den Aufwand an Werbung und Vertrieb, den eine Veröffentlichung in Eigenregie bedeutet. Für „MMXL“ schwebte uns trotzdem eine Eigenproduktion vor. Dies änderte sich eigentlich erst dann, als uns bewusst wurde, dass sich unsere Vorstellungen für das neue Album nur schwer alleine verwirklichen ließen. Die Entscheidung für Geisterasche fiel aufgrund des echten Interesses, dass uns das Label bereits vor der Ankündigung der Veröffentlichung entgegenbrachte.

III. Ihr habt für “MMXL“ ein höchst interessantes lyrisches Konzept erarbeitet, das sich mit der Erschaffung einer künstlichen Intelligenz befasst. Ich habe zwar in meinem Review zur Platte schon ein wenig dazu geschrieben, aber vielleicht könnte ihr trotzdem noch ein wenig detaillierter auf die Geschichte eingehen, die ihr mit dem Album erzählt.

Wie du schon im Review erwähnst, umfasst das Album den Aufstieg und den möglichen Fall der „Krone“ der Schöpfung. Betrachtet man die technische Entwicklung der letzten 10 Jahre, kann man erkennen dass die Saat für diese Zukunft in heutiger Zeit gelegt wird (siehe Alpha-Go, mannigfache Verwendung neuronaler Netze [und deren „Träume“], maschinelle Simultanübersetzungen, Smartphone-Assistants, Sensor-Miniaturisierung, etc.).
Dabei muss man sich vor Augen halten, dass eine Superintelligenz (oder besser: etwas, das unser Erfassungsvermögen bei weitem überschreitet) nicht nach unseren Moralvorstellungen kategorisierbar sein wird und sich auch nicht dementsprechend verhalten wird. Wie jedoch auch wir einem Ziel folgen (dem die Metaphysik selbst heute noch nicht auf die Spur gekommen ist) wirkt zumindest klar, dass ein uns überlegenes Wesen auch einem eingegebenen Ziel nacheifern wird – und sei es das schlichte Befolgen eines programmierten Befehls. Was sich daraus für die Menschheit und die Existenz der Erde ergibt, ist jedoch fraglich, was wir in „Herrscher“ und „Despot“ exemplarisch andeuten wollen. Die Weichen sind gestellt und die Büchse der Pandora haben wir wohl aus Neugier schon geöffnet, ohne es zu merken. Die Grenze zwischen Mensch und Technik verschwimmt inzwischen schon zusehends, und dies nicht nur bei Menschen, die auf lebenserhaltende Maßnahmen angewiesen sind. „Atarax“ und „Zeit der Sterne“ symbolisieren die Akzeptanz des neuen Zustandes und Verschmelzen zum „Eins“.

IV. In welchem Zusammenhang steht dabei der Titel des Albums, der ja offenbar eine Jahreszahl darstellt?

2040 stellt den zeitlichen Konsens dar, ab welchem künstliche Intelligenz uns zumindest ebenbürtig sein wird. Dieser Punkt wird jedoch von verschiedenen Wissenschaftlern und Philosophen unterschiedlich angegeben und schwankt zwischen 2030 über 2100 bis hin zu „nicht erreichbar“. Die Auswahl des Jahres 2040 gibt damit eine Möglichkeit an, die durch ihre relative Nähe zur Gegenwart bereits irritiert und verstörend wirkt.

V. Zwar ist die Thematik nicht komplett neu, wurde sie schon früher sowohl in der Literatur als auch in Filmen behandelt, spannend bleibt sie natürlich trotzdem. Wie kam euch die Idee zu diesem Konzept?

Das Konzept ging hauptsächlich von F.K. aus, der durch einen wissenschaftlichen Artikel auf das Thema aufmerksam wurde. Was uns dabei überrascht hat, waren vor allem die scheinbar nur in Extremen angesiedelten Prognosen. Mich selbst umfasste ein unwohles Gefühl, einerseits neugierig die Zukunft entdecken zu wollen, andererseits zu sehen, dass die Eigendynamik in diesen Themengebiet schon jetzt hoch genug ist, um ein Gefühl der Ohnmacht der Zukunft gegenüber zu entwickeln. Für mich macht genau das den Reiz des Albums aus: das Wissen, dass unsere Zukunft an diesen Scheideweg kommt, aber die Unkenntnis des Zeitpunktes und des Endergebnisses. Ich empfinde das Album als Versuch, darzulegen, wo Wissenschaft und Wirtschaft sowie wir als Art stehen und welche Möglichkeiten und existenzielle Probleme in Zukunft auf uns warten können.

VI. Das Artwork von “MMXL“ ist recht abstrakt ausgefallen und lässt kein wirkliches Motiv erkennen, wenngleich es ein wenig danach aussieht, als würde es Fragmente menschlicher Schädel zeigen. Existiert eine konkrete Verbindung zwischen dem Artwork und dem Konzept des Albums?

Das Artwork wurde durch den Künstler (Cadaversky) auf Basis von Vorgaben durch F.K. gestaltet und sollte möglichst weit auslegbar sein. Für mich drückt es eine Version des „Eins“ aus – der Geist eingebettet in etwas, dass er nicht erfassen kann, aber durch ihn erschaffen wurde. Die anderen Bandmitglieder haben da aber durchaus andere Interpretationen und wir wollen natürlich auch keinem Betrachter eine Sichtweise vorgeben.

VII. Inwiefern hat sich das Songwriting zu “MMXL“ von den Entstehungsprozessen eurer früheren Alben unterschieden? Habt ihr eine andere Vorgehensweise verfolgt, da es sich um ein Konzeptalbum handelt?

Bevor das Konzept des Albums fest stand, existierte nur der „Untertan“ in einer Instrumentalvariante. Uns war klar, dass wir das Album dieses Mal unter ein Konzept stellen wollten, das sich durch jedes Stück zieht. Nach der Formulierung und Ausarbeitung des Konzepts standen die Inhalte und Ideen der einzelnen Songs. Basierend darauf entwickelte zum großen Teil F.K. das musikalische und textliche Gerüst.

„Glas“ war hier anders – zwar folgten die Texte auch einer gewissen Thematik, jedoch stand die Musik vorher, die Texte wurden im Nachhinein geschrieben. Ich finde, das merkt man sehr gut, „MMXL“ wirkt für mich deutlich fokussierter, logischer und „aus einem Guss“ als noch „Glas“ oder der „Wurzelloser Geist“.

VIII. Ihr seid mit eurem Material zwar tief im Black Metal verwurzelt, greift allerdings auch auf einige Elemente des Post-Rocks zurück, die die Stücke in gewisser Weise auflockern. Entspricht euer heutiger Sound noch den stilistischen Vorstellungen, die ihr damals bei der Gründung von NEMESIS SOPOR hattet? Nicht zuletzt auf Grund der Besetzungswechsel werden sicherlich einige neue Einflüsse in die Band gekommen sein und zu einer musikalischen Entwicklung beigetragen haben.

Unsere Hörgewohnheiten sind weit gefächert. Dabei spielt Black Metal zwar eine große Rolle, ist jedoch nur ein Teil von Vielen. Dadurch das F.K. auf dem Album „Wurzelloser Geist“ schon alle Gitarren eingespielt hatte und ich seit 2011 neben A.B. die Gitarren komplettiere ist der Grundsound seit der „Rauhnächte“-Split instrumental sehr ähnlich. Ein Bruch kommt bei „MMXL“ vor allem durch die Veränderung im Gesang – ich besitze eine ganz andere Stimme als M.S., wodurch das Album wohl auch musikalisch anders klingt.

Im Endeffekt empfinde ich, dass der Sound von Nemesis Sopor heutzutage sehr ähnlich dem der alten Veröffentlichungen ist – nur, dass wir ihn aufgrund besserer musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten jetzt eher spielen können. Die verwendeten Post-Rock-Elemente stehen für uns auch eher in Zusammenhang mit der futuristischen Ausrichtung des Albums. Ich sehe uns generell eigentlich eher in der Tradition des 70er-Jahre-Rocks oder Bands wie bspw. Agalloch – zumindest werden wir eher aus dieser Richtung beeinflusst.

IX. Ihr habt eure Lyrik von Anfang an komplett auf Deutsch verfasst. Wie wichtig ist es euch, die Botschaften eurer Songs in eurer Muttersprache zu vermitteln? Gab es schon einmal die Diskussion, die Texte auf Englisch zu schreiben?

Du sprichst es an: Deutsch ist unsere Muttersprache. Unsere Texte sind stark von der Lyrik von Georg Trakl und Stefan George inspiriert, dadurch liegt es nah, die Texte in Deutsch zu halten. Andererseits ist es schwer, die Metaphorik bzw. weiten Interpretationsräume einfach ins Englische zu übertragen.

Komplett ausschließen möchte ich jedoch nicht, dass es in Zukunft auch englische Texte geben kann, jedoch wird dies dann wohl eher in der in geringem Umfang sein und nur dann, wenn es songdienlich ist.

X. Habt ihr bestimmte Pläne für die nähere Zukunft? Werdet ihr gleich wieder an neuem Material arbeiten oder benötigt ihr nach der Fertigstellung von “MMXL“ erst einmal eine kreative Pause?

Wir planen inzwischen, wie der Sound für die nächsten Lieder aussehen könnte und werden die nächsten Monate darin investieren. Ein Konzept oder Thema für neues Material besitzen wir noch nicht. Es gibt grundsätzlich die Idee, dass man als nächste Veröffentlichung wieder eine Split oder eine EP mit einem komplett anderen Ansatz veröffentlichen könnte, jedoch gibt es in der Hinsicht noch nichts Handfestes. Den Aufwand so einer Veröffentlichung schätzen wir von unserer Seite ähnlich hoch wie den eines Albums ein, weshalb man immer abwägen muss, worin man seine Zeit und Energie genau setzt.

Die kreative Pause drückt automatisch bei uns herein, da wir alle arbeitstätig sind und so nur wenig Zeit für das Schreiben von Songs haben. Dadurch, dass die Spielzeit unserer Lieder eher ausufert und wir perfektionistisch sind, dauert es vermutlich noch ein Weilchen bis wir neues Material präsentieren können.

XI. Wo wird es in diesem Jahr die Möglichkeit geben, euch live auf der Bühne zu erleben?

Unser nächster Auftritt findet am 08. April in der Klinke in Berlin beim „Schwarzmetall für schwärzeste Wälder“ statt. Danach planen wir auf das Nocte Daemonorium III in Löberschütz und im Oktober auf die von uns veranstaltete Herbstnacht IV.

XII. Die letzten Worte gehören euch…

Technologie ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Auch wenn der Gedanke an etwas, das wir nicht begreifen und doch kindlich erschaffen, unangenehm ist, lohnt es sich, ein wenig tiefer hinzusehen. Vermutlich wartet der nächste Evolutionsschritt nur um die nächste Ecke, bereit, uns in die Nase zu zwicken und uns aus unserer (Selbst-)Überschätzung zu stoßen.

„Wo ich Lebendiges fand, da fand ich den Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein.“ (Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Zweiter Teil 1883, Von der Selbst-Überwindung, Seite 117, Ausgabe: it 145).

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