Anomalie – Visions
Gerade einmal zwei Jahre ist es her, dass mit “REFUGIUM“ der letzte Langspieler von ANOMALIE erschien, da legt “Marrok“ bereits das nächste Werk seines Soloprojektes vor, auf dem der Österreicher in gewisser Weise alte Pfade verlässt und sich stattdessen tiefer in düstere Regionen vorwagt. Präsentierten sich die Songs des Vorgängers noch als vielschichtiges Mosaik aus depressivem Rock, ein wenig Post-Metal und melodischem Black Metal, dominiert letztere Komponente auf “VISIONS“ nun deutlich, wodurch sich andeutet, dass es offenbar an der Zeit für das nächste Kapitel in der Geschichte von ANOMALIE ist.
Diese stilitische Neuorientierung wird von der dunklen Gestaltung des Artworks unterstrichen, auf dem mit einem obskuren Traumfänger aus einem Hirschschädel eine spirituelle Naturmystik andeutet wird, die sich ebenfalls in den Kompositionen wiederfindet. Ein knisterndes Feuer, untermalt von rituellem Glockenläuten, schamanisch anmutendem Gesang und einer verhaltenen Akustikgitarre, eröffnet “Vision I: Towards The Sun“ und kündigt von der dichten Atmosphäre, die “VISIONS“ entfaltet. Trotz der aufkommenden schwarzmetallischen Elemente, mit kraftvollem Gesang und vehementem Riffing, fällt der Song mehrmals in seine ursprüngliche Form zurück und lässt sanfte Akustikpassagen und lateinische Choräle erklingen, die fast schon meditativ ein Zitat von Remigius von Reims wiederholen, in dem die anfängliche Symbolik des Feuers erneut aufgegriffen wird.
“Adora quod incendisti, incende quod adorasti!“
Es soll allerdings nicht alleine bei solch verträumten Sequenzen bleiben, werden in “Vision II: The Wanderer“ doch deutlich härtere Töne angeschlagen. Neben einem heftig aufflammenden Gemenge aus pfeilschnellen Blasts und klirrenden Gitarren beherbergt der Track allerdings auch wunderschöne Melodiebögen, die ein tiefes Gefühl unbändiger Sehnsucht verbreiten. Das gesamte Werk mit seiner rund 50-minütigen Spielzeit ist von derartigen Kontrasten und unterschiedlichen Motiven geprägt, sodass sich “VISIONS“ als abwechslunsgreiches Album mit vielen Gesichtern offenbart. Zu diesen gehören neben rasendem Black Metal mit kernigen Growls ebenfalls die vielen ruhigeren Momenten, mit ihrer Lagerfeuerromantik samt vielschichtigen Vocals. Dabei ist gerade dieser Punkt sehr interessant. Krankte der zwei Jahre zurück liegende Vorgänger stellenweise am sehr montonen und ausdruckslosen Gesang, konnte sich “Marrok“ nicht nur selbst erstaunlich steigern, sondern hat mit Bartholomäus Resch von OUR SURVIVAL DEPENS ON US und Heike Langhans von DRACONIAN zwei starke Gastsänger gewinnen können, deren markante Stimmen perfekt zum mystischen Charakter von “VISIONS“ passen und die ohnehin tolle Platte hervorragend abrunden.
Durch zahlreiche Breaks und überraschende Akzente erfährt das Album kontinuierlich eine starke Dynamik und bleibt so bis zum letzten Sekunde spannend und fesselt den Hörer für die Dauer aller sieben Visionen, die ANOMALIE hier offenbaren. Dabei wirkt “VISIONS“ mit seinen großen Emotionen, die ebenso Licht wie Schatten repräsentieren, völlig authentisch und kein bisschen aufgesetzt. Trotz des neu eingeschlagenen Weges, sollten Fans des Projektes sich dieses Album definitiv nicht entgehen lassen, klingen die epischen Melodien immernoch nach zu 100% nach ANOMALIE.